Subject: Zwischenbericht From: Ernst Meyer Date: Sat, 24 Dec 2016 16:26:42 -0500 To: Bernd Strangfeld Liebe Gertraud, lieber Bernd, Eurem liebevollen Weihnachtsbrief diese umgehende Antwort in der Hoffnung dass sie Euch noch vor Eurer Abfahrt nach Lübeck erreicht. Der großen Einsamkeit zum Trotz in der ich seit Margarets Tod meine Tage friste, ist in letzter Zeit manches passiert, das mindestens zu brieflichem Unterhaltungsstoff taugt. Über das maßgebende Verhör am 17.11, über den Einbruch ins Haus auf Nantucket der irgendwann zwischem dem 28.11. und 4.12. geschah hab ich Euch schon mittels von Abschriften einschlägiger Korrespondenz berichtet. Seitdem, nur ein Ausfall der Telephonverbindung, vermutlich auch Sabotage, der mir zwischen dem 16. und 21.12. die Videoüberwachung vorübergehend vereitelte, bis er infolge von langwierigen Telephonaten mit der Telephongesellschaft schließlich behoben wurde. Inzwischen hatte ich mich mit Aufräumen und Saubermachen dieses großen Hauses beschäftigt in Vorbereitung auf einen ungewöhnlichen Besuch, unter folgenden Umständen: Im Sommer letzten Jahres hatte Nathaniel bei Gelegenheit einer Konzertreise nach Estland die Bekanntschaft einer hochbegabten 23 Jahre alten Cellistin aus Wien, namens Cristina Basili gemacht. Inzwischen war Cristina zwecks Fortbildung an die University of Southern California in Los Angeles umgezogen, und von dort nach Belmont zu kommen war es, dass Nathaniel Cristina einlud zwecks in zwei von ihm veranstaltenen und dirigierten Konzerten die Solostimme von Dvoraks Cellokonzert Opus 104 in H-moll zu spielen, - und dies ist nun geschehen, vorgestern in Belmont und gestern Abend in Cambridge, mit offensichtlicher Virtuosität und scheinbar beträchtlicher öffentlicher Anerkennung. Diesen Konzerten beizuwohnen kamen auch Cristinas Eltern, die ihr einziges Kind seit fünf Monaten nicht gesehen hatten, Herr Marco Basili und Frau Ariadne Basili-Canetti, aus Wien angeflogen. Während für Cristina nebenan bei Klemens und Laura ein Zimmer verfügbar stand, wurden die Eltern bei mir in meinem großen leeren Hause einquartiert. Beide sind berufsmäßig Musiker, Herr Basili pendelt als Korrepetitor zwischen Klosterneuburg bei Wien und Innsbruck, während seine Frau mit dem schönen Namen Ariadne als Leiterin der großen Musikschule in Klosterneuburg mit tausend Schülern und 50 Lehrpersonal tätig ist. Meine Vorfreude, endlich einmal wieder deutschsprachige Gesprächspartner zu haben, aber war enttäuscht, denn es stellte sich heraus, dass die Besucher nicht Österreicher sind, sondern Griechen, die zuhause nicht Deutsch sondern Griechisch sprechen, und deren stark akzentuierte deutsche Ausführungen meinen fast tauben Ohren ohne laute, langsame Wiederholung so unverständlich sind, dass ich gelegentlich ein Zwiegespräch mit der Frage unterbrach: Sprechen Sie Griechisch oder Deutsch? Abgesehen von dieser unwesentlichen kleinen Enttäuschung, sind die Basilis musterhafte Gäste. Frau Ariadne ist eine eifrige Köchin und hat das Kochen und die Küche übernommen, fast als ob nicht sie, sondern ich der Gast wäre. Heute besichtigen sie die Innenstadt Boston. Ich habe den Eindruck, dass sie sich hier sehr wohl fühlen und noch mehrere Tage zu verweilen gedenken. Früher oder später aber werden sie doch wieder zurück zur Arbeit nach Wien müssen, und dann wird sich meine Einsiedlerexistenz aufs Neue einstellen. Inzwischen Euch beiden meine herzlichsten Weihnachts- und Neujahrsgrüße. : Euer Jochen.