Subject: am 8. Oktober 2015 From: Ernst Meyer Date: Thu, 08 Oct 2015 23:41:42 -0400 To: Niels Holger Nielsen Lieber Herr Nielsen, Vielen Dank für Ihren Brief. Ich freue mich auf Ihren Besuch, werde jedoch nicht vergessen dass Sie und Ihre Frau den langen Flug unternommen haben nicht um mich, sondern um Ihre Kinder und Enkelkinder zu besuchen. Die schwere Krankheit meiner Frau würde auch möglicherweise ausführlichen Unterhaltungen zwischen uns nicht im Wege stehen. Solche Unterhaltungen brauchten keineswegs an unserer Haustür stattzufinden, vorausgesetzt dass es Ihnen und Ihrer Frau nicht beschwerlich oder auch unangenehm wäre die sechsundzwanzig Wendeltreppenstufen zum dritten Stockwerk unseres Anbaus hinaufzusteigen, zu den zwei geräumigen Zimmern in welchen meine Frau und ich seit ihrem Zusammenbruch gefangen sind. Da könnten wir uns im geräumigen Krankenzimmer in Anwesenheit meiner schlafenden - oder träumenden - Frau unterhalten, oder auch nebenan im gleichfalls geräumigen Arbeitszimmer wo ich meine schriftlichen Arbeiten verfasste, eh meine Frau so schwer erkrankte. Jetzt tue ich das am Klappenrechner neben ihrem Bett. Nein, was denkbaren Unterhaltungen zwischen uns möglicherweise im Wege stünde ist ein Anderes: der grundlegende Unterschied zwischen schriftlicher und mündlicher Mitteilung. Dass wir befriedigend und ergiebig mit einander zu korrespondieren vermögen, haben wir in den vergangenen achtzehn Monaten erfahren. Ob Diskussionen von Angesicht zu Angesicht vergleichbar sinnvoll und befriedigend würden, müsste sich herausstellen. Aus Ihrem Leben und Denken haben Sie mir bis jetzt wenig erzählt. Ich bin interessiert, aber nicht neugierig. Dass betreffs Geschichten aus meinem eigenen Leben ich mich nie gescheut habe Ihnen mit der Tür ins Haus zu fallen, bin ich mir dringlich bewusst; finde aber das Erleben zu verhängnisvoll um damit hinter dem Berg zu halten. Wenn Sie Zeit hätten, könnten wir ausprobieren was wir einander zu sagen haben. Inzwischen werde ich die Tage vor Ihrer Ankunft wahrnehmen aufzuräumen und sauber zu machen, Tätigkeiten vielleicht erbaulicher als das nimmer endende Schreiben. Wenn Sie zu einem Treffen - kurz oder lang - bereit sind, telephonieren Sie bitte 617-489-1043. Um meine Frau nicht unnötig wecken zu lassen, hab' ich das Telephon im Krankenzimmer ausgestöpselt und muss um zu beantworten eine kleine Wanderung ins Nebenzimmer anstellen. Die nimmt Zeit, besonders mit zwei verkrüppelten Hüften. Bitte lassen Sie das Telephon lange genug klingeln. Ihnen und Ihrer Frau wünschen wir, nebst den üblichen Grüßen, eine angenehme, ereignislose Reise. Jochen Meyer